Macht und Moral – Gedanken zu Schillers Maria Stuart

6. Mai 2025

Einleitung

Das Drama Maria Stuart von Friedrich Schiller gehört zu den bekanntesten Werken der deutschen Literatur. Es wurde im Jahr 1800 veröffentlicht und ist ein klassisches Trauerspiel in fünf Akten. Im Mittelpunkt steht der Konflikt zwischen zwei mächtigen historischen Frauen: Maria Stuart, Königin von Schottland, und Elisabeth I., Königin von England. Die Handlung beruht auf wahren historischen Ereignissen, allerdings nimmt sich Schiller künstlerische Freiheiten, um bestimmte Themen und Konflikte stärker herauszuarbeiten.

Besonders auffällig ist dabei das Spannungsverhältnis zwischen Macht und Moral. Beide Königinnen stehen unter großem politischen Druck, doch vor allem Elisabeth befindet sich in einem moralischen Dilemma: Soll sie ihre Rivalin Maria hinrichten lassen, um ihre eigene Macht zu sichern? Oder wäre das ein Akt der Grausamkeit, den sie nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren kann? Schiller nutzt diese Fragen, um über das Verhältnis von politischer Verantwortung und menschlicher Ethik nachzudenken – ein Thema, das bis heute nichts von seiner Aktualität verloren hat.


Macht und Moral – ein ewiger Konflikt

Das Spannungsfeld zwischen Macht und Moral zieht sich wie ein roter Faden durch Maria Stuart. Elisabeth ist als Königin in einer schwierigen Lage: Ihre Herrschaft wird durch die Existenz Marias bedroht, denn viele Katholiken sehen in Maria die rechtmäßige Thronfolgerin Englands. Maria wiederum wurde wegen angeblicher Beteiligung an einem Komplott gegen Elisabeth gefangen genommen und wartet nun auf ihr Urteil. Obwohl der Staatsapparat und Elisabeths Berater die Hinrichtung befürworten, zögert Elisabeth lange – nicht, weil sie Maria für unschuldig hält, sondern weil sie mit der moralischen Last dieser Entscheidung kämpft.

Schiller zeigt sehr eindrucksvoll, wie schwierig es ist, moralisch zu handeln, wenn man politische Verantwortung trägt. Elisabeth möchte sich nicht offen zur Hinrichtung bekennen, sondern versucht, die Verantwortung an andere abzuschieben. Das zeigt nicht nur ihre Unsicherheit, sondern auch ihre Angst vor der Schuld, die mit dieser Entscheidung einhergeht. Letztlich unterschreibt sie zwar das Urteil, doch als die Hinrichtung vollzogen wird, reagiert sie mit Entsetzen – als wäre es nicht ihr eigener Wille gewesen. Dieser innere Zwiespalt macht sie zu einer vielschichtigen Figur, die mehr ist als nur eine „kalte Machtpolitikerin“.

Auch Maria steht unter Druck. Obwohl sie selbst keine politische Macht mehr besitzt, versucht sie, ihre Würde zu bewahren. Sie bittet nicht demütig um Gnade, sondern tritt ihrer Rivalin mit Stolz und Selbstachtung gegenüber. In einer berühmten Szene treffen die beiden Frauen aufeinander – ein Moment, der historisch zwar nie stattgefunden hat, aber im Drama zum Höhepunkt wird. Hier wird deutlich, wie unterschiedlich beide Frauen mit Macht und Ohnmacht umgehen: Elisabeth herrscht, zweifelt aber an sich selbst; Maria ist machtlos, aber innerlich stark.

Diese Gegenüberstellung ist besonders interessant, weil sie zeigt, dass wahre Stärke nicht nur in äußerer Macht liegt. Maria erscheint trotz ihrer Gefangenschaft oft entschlossener und aufrechter als Elisabeth, die frei über Leben und Tod entscheiden kann, dabei aber innerlich zerrissen ist. Schiller lässt uns darüber nachdenken, ob Macht allein wirklich glücklich macht oder ob das Gewissen nicht doch die wichtigste Instanz bleibt. Der Konflikt der beiden Frauen steht sinnbildlich für ein grundlegendes menschliches Dilemma: Soll man tun, was nützlich ist, oder was richtig ist?

Das Thema ist nicht nur literarisch interessant, sondern hochaktuell. Auch heute stehen Politikerinnen und Politiker vor Entscheidungen, bei denen sie zwischen moralischen Überzeugungen und politischen Notwendigkeiten abwägen müssen. Man denke etwa an Fragen der Klimapolitik, in denen kurzfristige wirtschaftliche Interessen oft gegen langfristige ethische Verantwortung stehen. Oder an Situationen in Kriegs- und Krisengebieten, in denen politische Handlungen Menschenleben kosten – oder retten – können.

Besonders sichtbar wird dieses Dilemma auch in der aktuellen internationalen Politik, etwa wenn Staaten zwischen der Wahrung diplomatischer Beziehungen und der Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen abwägen müssen. Oft steht der Wunsch nach wirtschaftlicher Stabilität im Gegensatz zu moralischem Handeln. Wer sich entscheidet, Konsequenzen in Kauf zu nehmen, um ethisch zu handeln, zeigt Rückgrat – doch nicht immer wird dieser Mut belohnt. Genau diese Unsicherheit und das Gefühl der Ohnmacht trotz Machtstellung wird in Elisabeths Figur sichtbar. Ihre Zweifel wirken modern, fast menschlich – Schiller macht sie greifbar.

Dabei zeigt sich, dass Macht ohne moralische Orientierung gefährlich ist. Schiller mahnt mit seinem Drama, dass politische Entscheidungen immer auch menschliche Entscheidungen sind. Die Frage „Was ist richtig?“ darf nicht allein durch Machtinteressen beantwortet werden. Besonders in einer Zeit, in der politische Diskussionen oft von Lautstärke und Kalkül geprägt sind, erinnert uns Maria Stuart daran, wie wichtig es ist, sich seiner Verantwortung bewusst zu sein – und den Mut zu haben, nach dem Gewissen zu handeln.